Logistikwissen zum Durchstarten

Die wirtschaftliche und geopolitische Lage trübt das Investitionsumfeld deutscher Start-ups.
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Geld für Start-ups wird knapp
Von Amelie Bauer

Es war ein absolutes Rekordjahr: 2021 betrug das Investitionsvolumen in deutsche Start-ups aller Sektoren rund 17,4 Milliarden Euro. Damit hat sich das Gesamtvolumen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht – trotz eminenter Auswirkungen der Corona-Pandemie. Auch die Anzahl der Finanzierungsrunden überschritt mit 1.160 den bisherigen Höchstwert von 743 Abschlüssen ein Jahr zuvor. Das geht aus dem aktuellen Startup-Barometer der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervor.

Und wie steht es hierzulande um die Logistik-Start-ups? Exakte Zahlen gibt es nicht, aber zumindest auf globaler Ebene hat der Sektor 2021 mit rund 20,8 Milliarden US-Dollar einen Rekordwert an Risikokapitalinvestitionen erzielt.

Doch nach dem Höhenflug folgt der tiefe Fall. Seitens der Investoren habe sich angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Lage eine gewisse Zurückhaltung bezüglich neuer Investments eingestellt, signalisieren Branchenexperten gegenüber der DVZ. Zu Beginn des vierten Quartals 2022 erreichen die Investitionen in deutsche Start-ups nicht einmal die Hälfte des Volumens von 2021. Die Zahl der Neugründungen ist im dritten Quartal um knapp 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen.

Kosten kontrollieren

Die Zukunft von Start-ups allgemein, aber auch von Logistik-Newcomern war auch Thema der Abschlusssequenz des Deutschen Logistik-Kongresses vergangenen Monat in Berlin. Auf dem Podium saßen der ehemalige Formel-1-Weltmeister und heutige Investor Nico Rosberg sowie Dana von der Heide, Gründerin des Start-ups Parcel Perform. Sie waren sich darin einig, dass der Wind gedreht hat. Seit etwa drei Monaten werde der Gürtel bei den Investoren enger geschnallt, sagte von der Heide. Die Folge sei, dass die Newcomer früher in die schwarzen Zahlen kommen müssten als in der Vergangenheit. Laut Rosberg muss dies nun sogar bei vielen „so schnell wie möglich“ geschehen.

Alexander Doll, ehemals Vorstand bei der Deutschen Bahn und heute Investor und Berater, verortet den Beginn der Finanzierungs-Baisse für junge Unternehmen sogar noch deutlich früher. Schon seit dem Frühsommer gebe es kaum noch neue Finanzierungsrunden, so Doll gegenüber der DVZ.

„Investoren wollen konkret verstehen, wie der Weg zu Profitabilität aussehen kann, und setzen nicht mehr auf Wachstum um jeden Preis“, beobachtet auch Mathias Bosse, Founding Partner bei Prequel Ventures und Autor des bisher zweimal veröffentlichten „SCM Startup Handbooks“. „Auch die Kundenakquise wird natürlich nicht einfacher in einer Rezession. Daher ist es für die Start-ups jetzt sehr wichtig, ausreichend Kapital zu haben und die eigenen Kosten unter Kontrolle zu bringen, um durch die Krise zu kommen.“

Mit anderen Worten: Die Anforderungen der Investoren sind deutlich gestiegen. Die Jungunternehmen sind gezwungen, mit dem vorhandenen Kapital achtsam zu haushalten und jeden Schritt genau zu überdenken. Doch gerade bei der Kostenkontrolle sieht Doll die Start-ups in einer Zwickmühle. Schließlich gehe es vor allem um Skalierung und schnellstmögliche Umsatzsteigerung. Und ferner seien viele Back-Office-Funktionen eh schon outgesourct.

Krisenthemen im Fokus

Stellt sich die Frage, welche Logistik-Start-ups noch vergleichsweise robust aufgestellt und welche quasi dem Untergang geweiht sind.

Eine Untersuchung von 343 Jungunternehmen im aktuellen „SCM Startups Handbook“ zeigt, dass auch traditionelle Logistiksegmente europaweit noch ordentlich Kapital einfahren. Zusammen haben die untersuchten Start-ups im laufenden Jahr fast 6 Milliarden Dollar an Finanzmitteln eingesammelt. Mit knapp 1,5 Milliarden Dollar entfielen davon etwa 25 Prozent auf den Bereich Fracht und Versand (siehe Grafik). Auf den Plätzen zwei und drei liegen mit jeweils 13,8 und 11,6 Prozent die Bereiche Fulfillment (818 Millionen Dollar) und Intralogistik (691 Millionen Dollar). Aber welche Geschäftsbereiche bieten in der Zukunft das größte Potenzial?

„Gefragt sind natürlich vor allem solche Geschäftsmodelle, die die aktuellen und zukünftigen Probleme adressieren“, heißt es beim Bonner Start-up Innovative Robot Delivery. Eine These, bei der sich alle befragten Branchenkenner gegenüber der DVZ einig waren. „Wir merken zum Beispiel, dass das Thema Arbeitskräftemangel eine sehr große Aufmerksamkeit erfährt, die so vor sechs Monaten noch nicht da war.“

Auch den Start-ups, die im Bereich der Lieferkettenresilienz, Automatisierung und Nachhaltigkeit unterwegs sind, werden weiterhin gute Marktchancen zugesprochen. Eine Erfolgsgarantie gibt es nach Einschätzung von Johannes Berg, Geschäftsführer des Digital Hub Logistics Hamburg, aber nicht: „Ich glaube, dass auch in diesen Bereichen ganz langsam ein Sättigungseffekt einsetzt und Investoren erst mal sehen wollen, welche Ideen oder Teams sich behaupten und durchsetzen.“

Uneinigkeit in der Branche

Doch ab diesem Punkt driften die Meinungen der Branchenexperten oft auseinander. Dana von der Heide glaubt, dass all die vergleichsweise gut durch die Krise kommen, die stark international aufgestellt sind. Denn in Asien beispielsweise sei die Lage noch stabiler als hierzulande.

Gründer suchen Kapital

Doll wiederum sieht vor allem bei Anbietern im Segment der letzten Meile vergleichsweise gute Chancen, mit dem Angebot auch Geld zu verdienen. Skeptisch ist er hingegen bei all jenen Newcomern, die ihre Geschäftsmodelle bisher nur in Pilotprojekten erproben können. Denn in der Regel sei es dann schwer, diese zu skalieren und wirklich Geld damit zu verdienen.

Bosse hingegen sieht gerade Start-ups auf der letzten Meile gefährdet, auf die Abschussliste zu kommen. „Es gibt wenige Bereiche, die jetzt definitiv an Nachfrage verlieren. Aber es ist schon zu erwarten, dass die Bereiche, die eher von einer großen Endkonsumentennachfrage profitiert haben, wie zum Beispiel E-Commerce, Fulfillment, Last Mile, gegebenenfalls unter der Rezession stärker leiden.“

Andererseits sei der Bedarf an Innovation in den Logistikunternehmen – und damit auch die Nachfrage nach Start-up-Lösungen – trotz Krisenzeiten weiterhin gegeben, beobachtet Johannes Franke, Geschäftsführer der Innovationsplattform Startport. „Auch in der Krise müssen Innovationen vorangebracht werden, um nach der Krise schneller als der Wettbewerb wachsen zu können.“

Paradebeispiel Flexport

Ein Start-up, welches die Gewinnzone mittlerweile erreicht hat, ist Flexport. Im vergangenen Jahr habe das Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco bei 3,3 Milliarden Dollar Umsatz einen Gewinn von 37 Millionen Dollar gemacht, sagte Deutschland-Geschäftsführer Stefan Böhler vorvergangene Woche auf einer DVZ-Konferenz zu Transportmanagementsystemen in Frankfurt. Dazu muss man aber wissen, dass Flexport auch schon 2013 gegründet worden ist und in Summe bis heute 2,4 Milliarden Dollar Wachstumskapital erhalten hat. Der Anbieter ist damit eine Art Pionier unter den Logistik-Start-ups.

Nach Einschätzung von Berg ist jedoch auch die Jagd nach Einhörnern mittlerweile etwas abgeflacht. Stattdessen werde angesichts der aktuellen Lage mehr auf langfristige Geschäftsmodelle geschaut. Hinzu komme, dass viele Start-ups ihre Lebenszeit noch durch Corona-Recovery-Fonds verlängert bekommen.

Die Guten setzen sich durch

Für Start-ups bedeuten diese Entwicklungen, dass sich nur die stärksten am Markt durchsetzen werden. Gute Start-ups und gute Gründerteams werden auch weiterhin Kapital finden, so das Signal aus der Branche. „Wie immer bieten wirtschaftlich schwierige Zeiten auch zahlreiche Chancen. Ein Nachholbedarf bei digitalen und nachhaltigen Geschäftsmodellen in der Logistik ist unbestritten“, resümiert Frank Seeger, CEO und Co-Founder des Hamburger Start-ups CO2OPT. Dennoch sind die Anforderungen von Investoren gestiegen. Was sich nicht rechnet, sollte vorerst hintenangestellt werden.

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