Logistikwissen zum Durchstarten

Die Blockchain-Technologie hat mittlerweile ihren Platz in der Logistik gefunden.
© Vitalii Pasichnyk/iStock
So verändert die Blockchain die Logistik
Von DVZ Redaktion

Über die Blockchain-Technologie ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Mal wurde sie als allein seligmachende Lösung in den Himmel gelobt, dann wieder ihr baldiges Ende vorhergesagt. Davon unbeeindruckt hat sie sich erst still, dann aber gar nicht heimlich und leise in einigen Branchen inzwischen zu einer festen Größe etabliert. Eine dieser Branchen ist die Logistik, und das aus gutem Grund.

Bei einer Blockchain können einmal eingegebene Daten nachträglich nicht mehr mit realistischem Aufwand verändert werden. Damit werden Herkunftsnachweis von Rohstoffen und Zulieferprodukten und lückenlose Nachverfolgbarkeit beispielsweise bei Transporten von temperaturempfindlichen Produkten sowie der Schutz vor Fälschungen auf eine völlig neue Stufe der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Transparenz gehoben, die vor Einführung der Blockchain-Technologie so nicht möglich war.

Dokumentation in Echtzeit

Steht zum Beispiel eine Liefer-Charge auf der Rampe des indischen Lieferanten versehentlich zu lange in der Sonne, entdeckt der europäische Hersteller den daraus resultierenden Hitzeschaden nicht erst Tage oder gar Wochen später bei seiner Eingangskontrolle. Er erkennt ihn auf Wunsch in dem Moment, in dem der Schaden auftritt – also in Echtzeit -, wenn es ihm der Sensor an der Palette oder im Container meldet. Und im Gegensatz zu Lieferpapieren oder Lieferanten-Aussagen („Hitzeschäden? Bei uns doch nicht!“) kann diese Meldung nicht mehr nachträglich von wem auch immer „kreativ bearbeitet“ werden.

Dafür sorgt eine fälschungssichere Blockchain, die permanent alle Daten-Blöcke, die in der Lieferkette unterwegs sind, auf Übereinstimmung und Nachverfolgbarkeit überprüft. So sorgt sie für umfassende Transparenz und Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette, da alle Transaktionen lückenlos und fälschungssicher dokumentiert werden.

Transparenz schützt

Dies ist auch angesichts der aktuellen Störungen in den weltweiten Lieferketten von nicht zu unterschätzender Bedeutung, denn ohne Transparenz wird es nicht möglich sein, diese vor Krisen wie Krieg oder Pandemie zu schützen und resilienter zu machen. Wer nicht weiß, welcher Lieferant an welcher Stelle der Lieferkette von welchem externen Ereignis betroffen ist, kann eine Lieferkette in disruptiven Zeiten nicht managen. Heute wissen viele Hersteller jenseits der direkten Lieferanten noch nicht einmal, wer wo in der Lieferkette sitzt.

Theoretisch ist es so, dass eine Blockchain dann bestmögliche Ergebnisse liefert, wenn alle Partner entlang von Supply Chains mitmachen. Das verführt manche Unternehmen oft dazu, gleich zu Beginn die komplette Lieferkette mit Blockchain-Elementen versehen zu wollen. Das aber ist für fast eine Garantie für Misserfolg.

Einführung in Pilotprojekten

Weitaus erfolgversprechender ist ein Pilotprojekt auf einem abgrenzbaren Teil einer Lieferkette oder auf einer kleinen, (nicht zu) kurzen Lieferkette. Da bei solchen übersichtlichen Umgebungen der Erfolg praktisch vorhersehbar ist, entwickelt er auch die nötige Sogwirkung für eine großflächige Anwendung der Blockchain-Technologie. Skeptiker meinen, dass die Technologie lediglich für besonders sensible Versorgungsketten nützlich und rentabel sei. Das allerdings ist ein Irrtum.

Der Wertewandel bei Endverbrauchern und die nicht abreißen wollende Kette der Produktskandale führen dazu, dass in naher Zukunft sämtliche Produkte und Märkte hoch sensibel sein werden. Um nur ein Beispiel anzuführen: Ob in einer Kopfschmerztablette wirklich nur die Inhaltsstoffe enthalten sind, die dort auch hineingehören, kann heutzutage kein noch so teuer umworbenes Werbeversprechen eines Unternehmens glaubhaft zusichern. Eine Blockchain hingegen kann das.

Finanzströme parallel geregelt

Idealerweise kommt zu den Warenströmen, die ihre Informationen über die Blockchain austauschen, dann noch der Finanzfluss hinzu, wenn die autonomen Systeme auch gleich noch autonom Rechnungen ausstellen, begleichen und revisionssicher buchen – Waren-, Informations- und Finanzströme im Dreiklang.

Auch bei Gefahrguttransporten bietet die Blockchain-Technologie ein großes Potenzial. Das ist gut, denn allein durch die im Zuge der Elektromobilität wachsende Anzahl von Batterie-Transporten nimmt die Bedeutung von Gefahrgut konsequent weiter zu.

Mit der wachsenden Globalisierung, komplexer werdenden Lieferketten und den zunehmenden rechtlichen sowie regulatorischen Anforderungen steigen auch die Herausforderungen an Unternehmen, auf allen Ebenen der Logistik Regelkonformität zu gewährleisten. Die Eigenschaften der Blockchain bieten ein großes Optimierungspotenzial, um Gefahrgut-Prozesse zu digitalisieren und mithilfe von Smart Contracts zu automatisieren.

Lückenlose Dokumentation

Eine lückenlose Dokumentation des Prozessfortschritts wird somit sichergestellt, denn die Technologie ermöglicht den vertrauenswürdigen, transparenten Austausch sensibler Daten und ein effizientes Gefahrgutmanagement in Übereinstimmung mit den rechtlichen und regulatorischen Bestimmungen. Es wird eine effizientere und papierlose Abwicklung ermöglicht, die einerseits Fehler bei manuellen Arbeitsschritten und andererseits Kosten für den administrativen Aufwand reduziert. Kontrollen werden bei Gefahrguttransporten mit Blockchain deutlich vereinfacht. Alle am Gefahrgutprozess beteiligten Akteure, vom Beförderer bis zum Empfänger, haben Zugriffsrechte auf dieselben Informationen, transparent und sicher.

Bereit für die Silicon Economy

Um die Möglichkeiten der Verbindung von Logistik und Digitalisierung auf breiter Basis nutzbar zu machen, braucht es ein entsprechendes Ökosystem. An diesem Ökosystem bauen die Forscher des Fraunhofer IML derzeit in Form der Silicon Economy. Es geht dabei um die vollständige Virtualisierung von Wertschöpfungsprozessen und um den logistischen Beitrag zur Plattformökonomie. Die Basis dieser Silicon Economy wird dabei gebildet aus der Verbindung von Internet of Things (IoT), Blockchain und Logistik. Die Grundlage bilden drei sogenannte Broker: Ein IoT-Broker, der die Fülle der benötigten und im Internet of Things erzeugten Daten einsammelt; ein Blockchain-Broker, mit dessen Hilfe Daten sicher gehandelt und gebucht werden können und ein Logistics Broker, der auf dieser Basis dann logistische Prozesse planen und optimieren wird. Die Silicon Economy setzt dabei auf Open-Source-Lösungen, die nach und nach allgemein zugänglich sein werden. Denn ebenso wichtig wie die Digitalisierung für die Logistik wird in Zukunft die Open-Source-Weiterentwicklung logistischer Lösungen sein, um gemeinsam eine Logistik-Plattform zu bauen, die dann auch im internationalen Wettbewerb mit den großen Playern aus den USA und China bestehen kann.

Zum Autor: Prof. Michael Henke ist Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmenslogistik (LFO) der Fakultät Maschinenbau der TU Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Management der Industrie 4.0 und Plattformökonomie, Blockchain und Smart Contracts, Financial Supply Chain Management, Supply Chain Risk Management, Einkauf, Logistik und Supply Chain Management.

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