Ali Soysüren und Lena Retzlaff von der Recruiting-Plattform „Simple Job“ erklären im DVZ-Interview, warum die klassische Bewerbung nicht mehr zeitgemäß ist und worauf Logistikunternehmen mit Blick auf die Fachkräftegewinnung achten sollten. Die klare Botschaft: Potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten gibt es aktuell noch genug.
DVZ: Herr Soysüren, unter einem unserer LinkedIn-Beiträge zum Thema Personalmangel haben Sie gefordert, dass wir Lösungen aufzeigen sollten statt Probleme wie diese nur anzusprechen. Was haben Sie damit gemeint?
Ali Soysüren: Menschen, die Lust haben zu arbeiten, gibt es aktuell noch genug. Wir haben über unsere Plattform in zwei Jahren über 120.000 Bewerbungen allein im Bereich Logistik gesammelt. Die Firmen sagen immer, es gibt zu wenig Fahrer. Das stimmt irgendwo auch, aber das eigentliche Problem sind die schlechten Arbeitsbedingungen. Wenn ein Unternehmen das nicht versteht, dann kann man noch so viel Geld für Stellenanzeigen, Börsen und Marketing ausgeben, das langfristige Problem wird sich dadurch nicht lösen.
Sie selbst setzen mit Ihrer Plattform Simple Job auf Data-Recruiting und personalisierte Anzeigenschaltungen in den sozialen Medien. Ist die „klassische Bewerbung“ mit einem Anschreiben, Lebenslauf und Referenzen noch zeitgemäß?
Soysüren: Nein, absolut nicht. Data-Recruiting ermöglicht es uns, Vorhersagen zu treffen, ob wir eine bestimmte Stelle besetzen können oder nicht. Es geht mittlerweile um Schnelligkeit. Wir haben die Regel: Wenn ein Kunde uns innerhalb von 48 Stunden keine Rückmeldung zu einem Bewerberprofil gibt, dann können wir nicht mit ihm zusammenarbeiten. Denn dann sind die Leute schon wieder weg. Es gibt leider noch viele Unternehmen, die da Schwierigkeiten haben, aber wir „nerven“ sie so lange, bis es klappt.
Stößt das auf Kritik?
Soysüren: Nein, der Großteil weiß, dass wir damit Recht haben, und versucht, die gesetzte Frist einzuhalten. Oft wird die Zeit einfach falsch priorisiert. Zum Beispiel wird zu wenig Mühe in digital optimierte Stellenanzeigen gesteckt, die bestimmte Keywords enthalten müssen, um dann auch gefunden zu werden. Oder es fehlen relevante Informationen zum jeweiligen Job.
Laut dem aktuellen Fachkräftereport der DIHK suchen im Sektor Verkehr und Lagerei bereits 65 Prozent der Unternehmen vergeblich nach Personal. Woran liegt das?
Soysüren: Gerade jetzt durch die Inflation und Co. wandern viele zu den „guten Arbeitgebern“, die besser bezahlen. Aber es liegt vor allem an den Arbeitsbedingungen, da müssen Arbeitgeber ansetzen. Und ich meine nicht (nur) das Gehalt, sondern es geht vor allem darum, ein sauberes Onboarding und die Identifikation mit der jeweiligen Firma zu ermöglichen. Gleichzeitig „schrumpft“ die Bevölkerung in den nächsten Jahren. Unternehmen sollten sich jetzt die guten Talente sichern, langfristig an sich binden und auch versuchen, Bewerber aus dem Ausland zu gewinnen oder Quereinsteiger weiterbilden zu lassen. Da sind wir aktuell auch dran.
Also stehen die Unternehmen in der Pflicht, das Thema Recruiting weiter zu denken als bisher?
Soysüren: Ja, da gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen. Zum Beispiel nicht immer wieder denselben Plattformen zu vertrauen oder immer wieder das Gleiche zu machen. Man muss die Dinge einfach mal anders angehen. Der Markt ist schnell und verändert sich auch extrem schnell.
Auf Ihrer Homepage geht es auch um „Next Generation Recruiting“. Der Generation Z wird oft vorgeworfen, sie sei verwöhnt und faul. Was sagen Sie dazu?
Soysüren: Gerade durch die Digitalisierung ändert sich vieles, auch viele Jobs werden sich ändern. GenZ ist die nächste Generation, die die Wirtschaft bei Laune halten muss. Aspekte wie Freiraum, Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind dieser Generation wichtig. Meine Meinung ist daher: Die Unternehmen müssen sich anpassen.
Lena Retzlaff: Ich glaube nicht, dass es da um „faul sein“ geht, es ist einfach ein anderes Arbeitsklima als noch vor ein paar Jahren. Früher mussten Arbeitnehmer auf die Arbeitgeber zugehen und sich beweisen, das ist jetzt eher andersherum. Gerade GenZ kennt ihre Möglichkeiten, man kommt heutzutage schneller an neue Jobs heran, und der Austausch untereinander ist durch Social Media viel einfacher geworden.
Passen die Wünsche und Anforderungen der jungen Generationen noch mit den Arbeitsbedingungen in der oft konservativen Logistikbranche zusammen?
Retzlaff: Schwierig. Ich glaube schon, dass sich das miteinander vereinen lässt, wenn die Grenzen auf beiden Seiten richtig gesetzt werden. Zum Beispiel was Überstunden angeht oder die Erreichbarkeit nach Feierabend oder am Wochenende.
Welche Möglichkeiten haben Unternehmen denn, um vor allem junge Fachkräfte für sich zu gewinnen? Der obligatorische Obstkorb reicht da in der Regel nicht mehr aus.
Soysüren: Wir achten zum Beispiel auf ein sauberes Onboarding und die Übertragung von verantwortungsvollen Aufgaben. Es gibt auf Tiktok auch schon Geschäftsführer, die dort lustige Videos produzieren. Da lacht man zwar im ersten Moment drüber, aber es macht das Unternehmen total sympathisch.
Die Logistik ist überwiegend männlich dominiert. Kann die Branche in Zukunft weiblicher werden?
Soysüren: Ich glaube, da müsste man schon drastisch einiges verändern. Logistik ist nach außen hin nicht „sexy“. Das haben wir bei der eigenen Personalsuche gemerkt. Es geht sicherlich auch darum, wie man als Unternehmen kommuniziert, zum Beispiel durch entsprechende Teamfotos auf der Homepage. Dann kann man das schon schaffen.
Retzlaff: Ich glaube, wenn die Arbeitsbedingungen wie die Sicherheit und Hygiene auf Parkplätzen besser wären, dann würde es zum Beispiel mehr Lkw-Fahrerinnen geben. Aktuell kann ich als Frau gut nachvollziehen, dass man diesen Job nicht machen will.
Attraktive und sichere Arbeitsplätze gibt es auch in anderen Branchen. Was muss die Logistik tun, um da in Zukunft mithalten zu können?
Soysüren: Vor dem Thema Gehalt geht es eigentlich immer um Wertschätzung. Durch Dinge wie einen sauberen Lkw, klare Arbeitszeiten und einen fairen Arbeitsvertrag sind viele Arbeitnehmer oft mal mit 100 Euro weniger zufrieden. Die Logistik wird trotz Digitalisierung immer Personal brauchen. Auch wenn die Branche als konservativ wahrgenommen wird: Wenn man sich selbst als moderner Arbeitgeber positioniert, sind die Branche an sich und ihr Ruf egal.
Logistikunternehmen sollten also nach außen moderner auftreten, um dem konservativen Ruf der Branche entgegenzuwirken?
Soysüren: Ja, und vor allem geht es darum, sowohl auf die Wünsche der neuen Generation als auch der bestehenden Mitarbeiter einzugehen. Am Ende geht es meist um Kleinigkeiten. Zum Beispiel einfach mal seinen Fahrer anzurufen und zu fragen, wie es ihm geht und wie es zu Hause läuft. Wenn man ein eigenes Unternehmen aufbauen kann, dann kann man auch Gespräche mit seinen Mitarbeitern führen. Zudem gibt es digitale Möglichkeiten, die das erleichtern.
Das macht Simple Job
Das 2020 von Ali Soysüren gegründete Jungunternehmen betreibt eine Recruiting-Plattform und sieht sich selbst als eine Art Mix aus Jobbörse, Personalvermittler und Marketingagentur – sowohl für gewerbliche als auch kaufmännische Jobs in der Logistik. Bewerber können sich innerhalb von 2 Minuten kostenlos registrieren und erhalten nach einem telefonischen Gespräch personalisierte Jobvorschläge. In Zukunft will Simple Job auch den Zugang zu potenziellen Bewerbern aus dem Ausland erleichtern.
Ali Soysüren
Die Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen, traf der 29-jährige Ali Soysüren 2019 nach seinem Studium. Mittlerweile betreibt er neben Simple Job auch dessen Tochterfirma Simple Leads, eine branchenübergreifende Social-Recruiting-Agentur.
Lena Retzlaff
Die 22-Jährige hat als Praktikantin bei Simple Job angefangen und arbeitet mittlerweile Vollzeit im Business Development des Jungunternehmens. Sie interessiert sich für die internen Prozesse & Strukturen diverser Unternehmen sowie für Themen wie New Work, agiles Management und Innovationen.