Logistikwissen zum Durchstarten

Anna-Theresa Korbutt, Geschäftsführerin des HVV, plädiert für ein Umdenken in der Logistikbranche – und mehr Offenheit für weibliche Führungsqualitäten.
© Anja Paap
Frauen können auch in der Logistik die Führung übernehmen
Von DVZ Redaktion

Ein Gastbeitrag von Anna-Theresa Korbutt

Groß, blond, schlank, lange Haare, Mutter – das sind nur ein paar von vielen Ausschlusskriterien für eine Führungsposition für eine Frau in der Logistikbranche – und wehe, das wird noch kombiniert mit Schlagfertigkeit, Intelligenz sowie anderen Denkansätzen und dem Hinterfragen von langjährig bestehenden Prozessen! Inakzeptabel.

Zu wenig Erfahrung. Zu zerbrechlich. Keine Akzeptanz an der Basis (weil High-Heels-Trägerin). Fehlende Durchsetzungsstärke in großen Männerrunden. Kann nicht in Prozessen und Lkw/Flugzeugen/Schiffen/Zügen denken … auch wenn sie schneller im Kindesalter Lego-Technik aufgebaut hat … egal – per se wird einer Frau die Kompetenz in der Logistikbranche schneller abgesprochen als jedem männlichen Kandidaten. Und je höher die Chefetagen liegen, umso stärker verdichten sich die Argumente, warum ein Mann es einfach besser kann.

Dabei erstickt die Logistikwelt in ihrem fast reinen Männerumfeld und lässt somit rund 50 Prozent an Denkweisen und Ideen schlichtweg kaum zu. Woran liegt es, dass eine Symbiose von Mann und Frau hier bisher kaum stattfindet?

Aufgabenteilung stammt aus der Nachkriegszeit

Die Logistik in ihrer heutigen Form und Besetzung hat ihren maßgeblichen Ursprung in der Nachkriegszeit. Es galt, Existenzen neu aufzubauen, und die damalige Form der Logistik forderte Kraft, Anstrengung und viel körperlichen Einsatz. Frauen zogen den Nachwuchs groß und kümmerten sich darum, ein Dach über den Kopf zu bekommen. Männer kamen erschöpft aus dem Krieg und suchten nach neuen Herausforderungen, um sich wieder eine Existenz aufzubauen. Und so wurde der ein oder andere Militär-Lkw zum ersten Fracht-Lkw umgewidmet. Es war eine Selfmade-Ära und führte dazu, dass die damit verbundene harte körperliche Arbeit am Mann hängen blieb.

Wenn es um Frauen in der Logistik geht, insbesondere auf Führungsebene, so liegen Theorie und Praxis noch weit auseinander, sagt HVV-Chefin Anna-Theresa Korbutt. Sie fordert Frauen auf, das nicht einfach hinzunehmen und für ihren Platz an der Spitze zu kämpfen. Männer sollten dem Wandel offen gegenüberstehen und neue Sichtweisen akzeptieren. Trauen Sie sich, so Korbutt. Am Ende profitieren alle.
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Die Nachkriegszeit formte die strenge Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau. Sie brachte die Frau an den Herd und zu den Kindern, während der Mann für den Lohn verantwortlich war. Für Frauen blieb da wenig Raum. Und dieser Trend setzte sich fort und konnte bisher kaum durchbrochen werden.

Somit entstand eine sehr abgeschottete Logistikbranche, die in den letzten Jahren Großes vollbrachte, aber gleichzeitig durch wenig Diversität in den Führungsebenen in vielen kulturellen und innovativen Ansätzen deutlich zurückhängt. Und doch werden neuartige Zugänge und zwischenmenschliche Ansätze im Sinne der Führung und des Employer Brandings in Zeiten von knappen Personalressourcen immer wichtiger.

Frauen denken anders als Männer

Die Logistik lebt von ihrer Produktions- und Prozessorientierung, doch Aspekte wie Kundenzentrierung, Innovation und Cultural Change – um nur einige zu nennen – werden immer wichtiger. Und genau dafür braucht es Frauen. Nicht weil Frauen besser sind als Männer – das ist nicht die Aussage! Sondern weil es notwendig ist, damit ein Unternehmen in seiner Steuerung männliche und weibliche Ansätze und Akzente erlebt. Ähnlich wie in einer Familie – auch Kinder benötigen im klassischen Sinne eine weibliche und eine männliche Bezugsperson und erleben ihre Erziehung am besten aus zwei unterschiedlichen Perspektiven mit unterschiedlichen Wegen zum Ziel.

Es ist schlichtweg nötig, auch in der Logistik zu einer gesunden Durchmischung auf allen Ebenen zu kommen. Dafür bedarf es einer radikalen Umkehr in den Recruitingansätzen!

Die Entscheider (zu 99 Prozent Männer) suchen für ihre Mannschaft und für ihre Nachfolgen immer mehr vom Gleichen. Das ist das, was sie kennen, das ist das, was ihnen Sicherheit gibt. Es gibt kaum Ansätze, es mal komplett anders zu machen und sich neuen Zugängen zu öffnen. Eine Frau wird nie wie ein Mann denken – aber das heißt nicht, dass sie das Ziel nicht erreicht. Doch dieser Wandel erfordert Mut. Mut von beiden Seiten – den Arbeitgebern und den Frauen, die gerne in die Logistik wollen!

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Die Branche muss sich trauen

Frauen können mehr als nur HR oder Marketing. Frauen haben andere Zugänge zu Menschen, sehen andere Beziehungsebenen, können Menschen anders einwirken und motivieren. Sie sehen Herausforderungen in einem anderen Licht, und zusammen mit der bestehenden Logistikwelt können daraus fulminante neue Ansätze entstehen. Niemand kann argumentieren, warum der Ausschluss von 50 Prozent des Arbeitsmarktes besser sein sollte als eine gemeinsame Symbiose.

Doch Arbeitgeber müssen sich für Frauen öffnen und gleiche Chancen für alle zulassen. Gleiche Bezahlung, gleiche Aufstiegschancen, Akzeptanz für andere Ansätze und andere Bildungswege anerkennen – man muss nicht 20 Jahre lang in der Logistik gearbeitet haben, um Logistik zu verstehen.

Auch Frauen müssen kämpfen. Die Logistik ist eine sehr spannende Zukunftsbranche mit unheimlich vielen Entfaltungsmöglichkeiten, und Frauen müssen aktiv dafür kämpfen, in dieser Branche gesehen zu werden. Man muss Widerstände aufbrechen und am Anfang vielleicht öfter als der männliche Kollege an der Tür anklopfen – vielleicht die Tür auch mal „eintreten“. Man muss vehementer einfordern und taffer argumentieren. Das ist nicht einfach, aber erforderlich, wenn man Veränderung erreichen möchte.

Es gibt bereits vereinzelte Beispiele, wo der Mut von beiden Seiten da war, einen neuen Weg zu gehen! Das Potenzial ist um ein Vielfaches höher, und die Hoffnung ist groß, dass zeitnah der Wandel in den Köpfen stattfindet und man sich in der Logistikbranche dieser vielleicht größten Herausforderung stellt, Gleichberechtigung und Andersartigkeit zuzulassen.

Man hörte mal: Männer wären mutig. Hier ist die Möglichkeit, es unter Beweis zu stellen! (wes)

Zur Person

Anna-Therese Korbutt, die Chefin des Hamburger Verkehrs­verbunds (HVV), hat schon viele Spitzenpositionen durchlaufen. Ihre berufliche Karriere begann sie bei der Deutschen Bahn. Vor dem Wechsel nach Hamburg war sie als Geschäftsführerin der ÖBB-Tochter Q-Logistics (später Bexity) tätig.

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