Die Coronapandemie treibt die Digitalisierung der Transportwirtschaft voran. Doch Spezialisten für die digitale Transformation sind rar. Wie man diese für sein Unternehmen gewinnen kann, erklärt Personalberaterin Martina Fohr im DVZ-Interview.
DVZ: Transport und Logistikunternehmen müssen digitaler werden. Doch wer soll den Prozess vorantreiben?
Martina Fohr: In erster Linie werden Menschen gesucht, die bereits digitale Erfahrung mitbringen können, die also entweder aus einem voll digitalisierten Unternehmen kommen oder zumindest einen Order-to-Cash-Prozess, also die Kette von der Bestellung bis zur Bezahlung der offenen Forderung durch den Kunden, komplett digitalisiert haben.
Welcher Typ Führungskraft ist geeignet, die Digitalisierung in der Logistik voranzubringen? Welche Profile sind gefragt, welcher Background ist wichtig?
Wir haben analysiert, welche Leadership-Fähigkeiten Logistikunternehmen in den Jahren 2010 bis 2015 gesucht haben und wie sich diese Profile mittlerweile verändert haben. Heute wird zum Beispiel Wert darauf gelegt, dass die für die Digitalisierung verantwortliche Führungskraft multidisziplinäre Teams aus Digitalexperten und traditionellen Logistikfachleuten bilden kann. Dabei geht es auch darum, offen für Disruption zu sein. Das heißt, künftige Logistik-Leader sollen nicht nur bereit sein, sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen. Sie müssen auch verstehen, welche Themen neu aufgesetzt werden müssen und welche Prozesse beibehalten werden sollten. Hilfreich ist es dabei, wenn die Führungskräfte sich als Inspirationsquelle für andere verstehen und sich auch durch ihr Team inspirieren lassen.
Und wie sieht es mit den logistischen Fachkenntnissen aus?
Eine Führungskraft mit Fokus auf Digitalisierungsthemen sollte zwar grundlegende Erfahrungen im Bereich Logistik mitbringen, muss aber kein ausgebildeter Speditionskaufmann sein. Unter denjenigen, die das Prime-Now-Konzept – also die Lieferung von Waren innerhalb eines wählbaren Zeitfensters von zwei Stunden – in den USA konzipiert und implementiert haben, stößt man zum Beispiel auf Profile mit juristischem Background, die man hier gar nicht vermutet hätte.
Welche konkreten Fähigkeiten muss ein Digitalisierer unbedingt mitbringen – und welche nicht?
Jemand, der die Aufgabe hat, Geschäftsmodelle und -prozesse neu auszurichten und zu digitalisieren, muss selten bis nie tiefgreifende IT-Kenntnisse besitzen. Gefragt sind vielmehr strategischer Weitblick und dass die Führungskraft künftige Kundenwünsche erkennt. Die passende App oder Software für eine solche Idee zu programmieren, das können dann Spezialisten übernehmen. Die Voraussetzung, um als Digitalisierer erfolgreich zu sein, ist eher ein generelles Verständnis von Clouds, Big Data Usage, Blockchain und auch immer mehr Digital Marketing und Social Network Awareness.
Muss so jemand vor allem die Rolle eines Antreibers einnehmen oder die eines Coaches?
Unsere Kunden haben ganz klar den Wunsch, dass eine Führungskraft, die mit dem Ziel eingestellt wird, zum Beispiel einen Order-to-Cash-Prozess zu digitalisieren, beides können muss. Das heißt, es geht nicht nur darum, Ideen und Visionen zu haben und voranzutreiben. Ein Mensch in dieser Position muss auch ganz stark inspirieren können, um seine eigenen Ideen mit Hilfe seines Teams verbessern zu können. Was hingegen gar nicht funktioniert in dieser Rolle: ein hierarchischer Top-Down-Manager, der nur Anweisungen geben will, die das Team umsetzen soll. Dieser Typ Führungskraft ist am Markt kaum noch gefragt.
Wie können gerade kleine und mittelständische Logistiker solche Persönlichkeiten gewinnen?
Es gibt immer mehr KMU, die den Mut haben, traditionelle Wege zu verlassen, nach neuen Leadern zu suchen und neue Denkmodelle zu verfolgen. Bei anderen scheint aber noch die Angst vor dem Scheitern eines neuen Modells und den damit verbundenen finanziellen Einbußen vorzuherrschen. Und manchmal gibt es immer noch die Einstellung „Das haben wir immer schon so gemacht, das hat immer geklappt, und wir sind schon sehr gut aufgestellt“. Aber hier sollte man dann durchaus einen Blick auf andere Industrien werfen, die aufgrund solcher Denkweisen möglicherweise profitable Entwicklungen verpasst haben. Was für KMU ebenfalls wichtig ist, um für Digitalisierer interessant zu werden: Sie werden sich öffnen müssen für neue Vergütungsmodelle und die Möglichkeit, Führungskräfte über Unternehmensbeteiligungen am Erfolg teilhaben zu lassen. Unsere Kandidaten-Interviews belegen, dass innovative Leader selten hohe Fixgehälter fordern, sondern selbst unternehmerisch arbeiten und vom Erfolg ihrer Ideen mit profitieren wollen.
Digitalexperten stellen bestimmte Anforderungen an das Arbeitsumfeld. Wie lässt sich das mit der Realität in Transport- und Logistikunternehmen vereinbaren?
Digital Leaders wollen in der Tat immer weniger Positionen mit Anwesenheitspflichten an einem bestimmten Ort annehmen. Dennoch lässt sich dies nicht pauschalisieren. Wenn Anwesenheitspflicht eine der Vorgaben vonseiten unserer Kunden ist, dann lehnt mittlerweile nach unserer Erfahrung sicher ungefähr die Hälfte der Kandidaten und Kandidatinnen ab. Auf der anderen Seite muss hier auch ein Umdenken stattfinden: Digitale Logistik-Leader werden nicht täglich in der Halle oder im Lkw gebraucht. Ihre Aufgabe ist es, die Strategie festzulegen, Mitarbeiter mitzunehmen und zu inspirieren, Prozesse zu optimieren und – am allerwichtigsten – letztendlich das anzubieten, was im Interesse der Kunden und Endkunden ist.
Welche Freiheiten erwarten sie im Gegenzug?
Die wenigsten guten Ideen entstehen am Schreibtisch. Wir haben Personen mit sogenanntem Skalierungs-Mindset, also Personen, die Neuprodukte in verschiedenen Bereichen innerhalb kürzester Zeit am Markt positionieren konnten, befragt, wo eigentlich die Idee für das Produkt entstanden ist. Die Aussagen waren spannend. Manche Ideen wurden spontan aufgrund einer Reiseerfahrung geboren, andere entstanden bei Autofahrten oder beim Sport. Am Ende entscheidet immer und ausschließlich das Ergebnis und der Antrieb, es schaffen zu wollen. Die Angst vieler Arbeitgeber, dass Personen im Homeoffice nur eine reduzierte Arbeitsleistung erbringen würden, erübrigt sich doch spätestens beim Thema Ergebnis.
Und welche Fehler gilt es unbedingt zu vermeiden, so dass digital orientierte Führungskräfte mit ihren Ideen nicht scheitern?
Es reicht nicht, in einem traditionellen Unternehmen einen digitalen Head als Leader einzusetzen. Es sind schon sehr gute Führungskräfte in diesem Bereich gescheitert, weil sie vom Rest der Mannschaft geblockt und als Fremdkörper empfunden wurden. Dieses Risiko lässt sich aber deutlich verringern, wenn digitale Köpfe an mehreren Schaltstellen sitzen und im Tandem mit Traditionalisten arbeiten. So kann gemeinsam reflektiert werden, was realistisch ist und was nicht.