Logistikwissen zum Durchstarten

Für Logistikunternehmen ist es angesichts des Fachkräftemangels sehr wichtig, dass Firma und Bewerber:innen gut zusammenpassen.
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Personalgewinnung: Das perfekte Matching
Von Amelie Bauer

Heute hier, morgen dort: Die Zahl der Erwerbstätigen, die aktiv über einen Wechsel des Arbeitgebers nachdenken, steigt laut der Online-Plattform Personalpraxis24 von Jahr zu Jahr. Die Gründe sind vielfältig: Neben monetären Aspekten spielen immer öfter der Wunsch nach interessanteren Arbeitsinhalten oder die Unzufriedenheit mit der Führungskraft eine Rolle.

Dieses Problem trifft vor allem die Logistikbranche, der es angesichts des enormen Fachkräftemangels schwerfällt, die so entstehenden Lücken wieder adäquat zu füllen. Eine bessere Alternative wäre es, dafür zu sorgen, dass der Wunsch nach einem Jobwechsel bei den Mitarbeitenden gar nicht erst aufkommt. Auf dieser Überlegung fußt das Geschäftsmodell der 2015 gegründeten Hamburger Personalberatung Transport Talent. Es geht um die perfekte Abstimmung der Bedürfnisse von Arbeitgebern und Fachkräften aus der Transport- und Logistikbranche.

Vier Schlüsselfaktoren

Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Agentur unter anderem auf das „Predictive Index Behavioral Assessment“-(BA-)Verfahren. Dabei soll ein branchenunabhängig formulierter Fragebogen herausfinden, wie ein/e Bewerber/in denkt und arbeitet – vorurteilsfrei. Doch wie funktioniert das Ganze? Zunächst mit einem Link zum Online-Testverfahren und zwei Listen mit jeweils 86 Adjektiven. Aufgabe ist es, die Wörter auszuwählen, die beschreiben, welches Verhalten Dritte von den Bewerbern erwarten. Im zweiten Schritt sollen die Wechselwilligen ihre eigene Position anhand der gleichen Eigenschaften reflektieren. Wie viele Begriffe angekreuzt werden, bleibt den Teilnehmenden selbst überlassen.

Jedes Adjektiv ist mit einem der vier Schlüsselfaktoren verbunden, die das Verhalten am Arbeitsplatz bestimmten sollen: Dominanz, Extraversion, Geduld und Formalität. Die individuelle Kombination dieser Faktoren kann mit den Anforderungen an ein bestimmtes Stellenprofil abgeglichen werden, erklärt Transport-Talent-Geschäftsführer Michel Rothgaenger.

Die Unternehmenskultur zählt

Doch es sind nicht nur die Kompetenzen der potenziell Mitarbeitenden, die Einfluss auf das perfekte Matching haben sollten. Gleiches gilt für den Führungsstil, die Unternehmenskultur und die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen selbst. Es soll ein tiefes Verständnis füreinander auf der menschlichen Ebene erreicht werden – etwas, was normale HR-Prozesse nicht leisten können.

„Das ist ein bisschen wie beim TV-Format ‚Der Bachelor‘“, scherzt Rothgaenger. Arbeitgeber würden sich regelrecht um qualifizierte Jobsuchende reißen – nicht umgekehrt, wie es früher mal war. Was dabei oft übersehen wird: Jeder Mitarbeitende braucht individuelle Arbeitsstrukturen und hat entsprechende Bedürfnisse. Werden diese ignoriert, kann es zu teuren personellen Fehlentscheidungen kommen, und die Wege trennen sich wieder. Das Behavioral Assessment soll das verhindern.

Der Selbstversuch

Um den Prozess besser nachvollziehen zu können, habe ich mich zu einem Selbstversuch entschlossen. Kaum habe ich den Test beendet, ist nur wenige Minuten später die Auswertung da. Allerdings nicht in meinem Postfach, sondern in dem von Rothgaenger, der mir die Ergebnisse erklärt. Nach deutlicher Anspannung folgt ein erstes Aufatmen: Referenzprofil Wissenschaftlerin. Klingt gar nicht so schlecht. Präzise, zurückhaltend und ideenreich, strebt ein hohes Niveau an technischem Fachwissen an – so die Kurzbeschreibung des Profils. Insgesamt gibt es 17 solcher Referenzprofile. Was anfangs nur 86 Adjektive waren, ist zu einer achtseitigen Analyse inklusive Diagrammen gewachsen. Und Rothgaenger, dem ich zuvor weitgehend unbekannt war, scheint plötzlich mehr über mich zu wissen als mein bester Freund. Die Trefferquote liegt im Durchschnitt bei rund 95 Prozent, verrät der Experte.

Ein weiteres Hilfsmittel auf dem Weg zum perfekten Job-Match ist das „Cognitive Assessment“. Die Teilnehmenden werden in einem Zeitlimit von 12 Minuten mit 50 Aufgaben konfrontiert. Das Ergebnis soll zeigen, ob die kognitiven Anforderungen eines Jobprofils gegeben sind und wie schnell komplexe Informationen verarbeitet werden. Abgedeckt werden verbales, numerisches und abstraktes Denken.

Durch das Zeitlimit von 12 Minuten werde ein künstlicher Druck ausgeübt, erklärt Rothgaenger. „Ein Großteil der Teilnehmenden – um die 90 Prozent – beantwortet 25 bis 30 Fragen, wovon nicht alle richtig sein müssen.“ Der Test ist damit absichtlich so konzipiert, dass in der Regel nie alle Fragen richtig beantwortet werden. „Die meisten Leute landen genau im Mittelfeld“, beobachtet der Experte.

Eingesetzt werde der Test vor allem dann, wenn es um Jobprofile mit branchenfremden Themen gehe. Problematisch wird es aber vor allem dann, wenn Bewerbende unter Prüfungsangst leiden und die gewohnte Leistung im entscheidenden Moment nicht abrufen können.

Ziel ist ein langfristiges Miteinander

Der Transport-Talent-Chef ist überzeugt, dass dieses Verfahren hilft, eine Basis für eine langfristige und harmonische Zusammenarbeit zu schaffen. Das sonst übliche „Recruiting nach Bauchgefühl“ soll vermieden werden. Die Gefahr besteht jedoch darin, den Testergebnissen zu viel Bedeutung im Entscheidungsprozess beizumessen, sagt Rothgaenger.

„Der Test ist nur eine Bestätigung für den Eindruck, der sich aus einem persönlichen Gespräch ergibt. Er sollte nie separat verwendet werden“, warnt der Recruiting-Experte. Für ihn seien die Testergebnisse nicht mehr als ein Anhang an den Lebenslauf – nicht die Grundlage, auf der eine Entscheidung gefällt wird. Umso relevanter sei stattdessen der direkte Kontakt – auch um Schubladendenken zu vermeiden und individuelle Wünsche und Ziele zu berücksichtigen.

Voraussetzung für ein realitätsnahes Ergebnis im Behavioral Assessment sei zudem eine gesunde Selbstwahrnehmung und die Akzeptanz, dass nicht jeder Mensch für Führungspositionen geschaffen ist, meint Rothgaenger. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollten Testergebnisse daher immer nur an Personen mit entsprechender Ausbildung ausgehändigt werden; keinesfalls sollten sie Führungskräften als Entscheidungsgrundlage für die Bewertung von Mitarbeitenden dienen. Um die Gefahr des Missbrauchs zu reduzieren, rät er Jobsuchenden, den Grund für die Durchführung der Assessments zu hinterfragen. Auch die Datensicherheit sollte stets gewährleistet sein. „Die Testergebnisse sind sensibler als ein Lebenslauf“, so Rothgaenger.

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