Logistikwissen zum Durchstarten

Künstliche Intelligenz kann beispielsweise helfen, Lieferketten resilienter zu machen. Aber auch in anderen Bereichen der Logistik gibt es bereits Anwendungsmöglichkeiten.
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So kann KI Abläufe in der Logistik optimieren
Von DVZ Redaktion

Nie standen Lieferketten stärker im Fokus als in den letzten zwei Jahren. Was 2020 mit der Corona-Pandemie begann und in der Havarie der „Ever Given“ im vergangenen Jahr seinen vorläufigen Höhepunkt fand, mündet aktuell in der jüngsten Krise: Der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden wirtschaftspolitischen Konsequenzen werfen ihre Schatten auf die weltweite Logistik. Einmal mehr zeigt sich der Stellenwert der Logistik, wenn durch Produktionsausfälle und Versorgungsengpässe humanitäre Krisen drohen. Noch ist ungewiss, welches langfristige Szenario die Logistik erwartet, wenn Politik- und Wirtschaftsexperten über eine Zeitenwende sprechen. Um so zentraler scheint es, dass sich Unternehmen möglichst flexibel aufstellen. Ein wichtiges Instrument dafür ist Künstliche Intelligenz (KI). Insbesondere wenn Unternehmen optimiert planen wollen oder Arbeitsabläufe für mehr Effizienz automatisieren möchten, bringt sie viele Vorteile. Wir stellen verschiedene Ansätze vor, um diesen beiden Herausforderungen begegnen zu können.

Herausforderung 1: Optimierte Planung

Um Ressourcen entlang der Lieferkette zu planen, ist ein guter Überblick über eine Vielzahl von Stakeholdern nötig. Eine zentrale Rolle nehmen dabei Hersteller, Lieferanten, Spediteure, Lager- und Yard Manager sowie Kunden ein. Gerade die Corona-Pandemie zeigt, welch enormen Wettbewerbsvorteil die optimierte Zukunftsplanung darstellt.

Mittels KI-basierter Prognosen können etwa Kundennachfragen, Transportkapazitäten, Ressourcenverfügbarkeiten, Lagerbestände, schwerwiegende Geräteausfälle oder Lieferabweichungen transparenter und übersichtlicher gestaltet werden. Vor allem dort, wo Güter bewegt werden, kommen KI-basierte Simulationen zum Einsatz: Sie können darstellen, wie sich Frachtrouten und Lagerstandorte optimieren lassen, und wie sich die Routenwahl in komplexen weltweiten Netzwerken auf die Erlöse des Unternehmens auswirkt. Weiterhin ermöglichen Simulationen Krisensituationen zu antizipieren und frühzeitig Handlungsoptionen auf deren Auswirkungen vorzubereiten.  Das Management kann somit seine strategische Richtung absichern, derzeit unerschlossene Märkte identifizieren und sich für zukünftige Krisen besser aufstellen.

Lieferkettenlücken effizienter schließen

Doch so viele Vorteile Prognosen und Simulationen mit sich bringen – einfach umzusetzen sie sind nicht. Denn bekanntermaßen sind Lieferketten hochkomplexe und stark verschränkte Systeme mit vielen Einflussfaktoren. Dazu zählen unter anderem Hafenschließungen, neue Zollbestimmungen oder Streiks. Diese Probleme führen zu Lücken und Verzögerungen innerhalb der Lieferkette und reduzieren sofort die Gewinnmargen der Logistikunternehmen.

Bisher nutzten Unternehmen zur Vermeidung von Lieferkettenlücken die aktuellen Standortinformationen aus GPS-Positionen und Übergabepunkten, ebenso Daten aus externen Quellen wie Wetter- oder Verkehrsinformationen und Streckenverläufen. Die Künstliche Intelligenz bietet hier immensen Mehrwert. Mithilfe zusätzlicher historischer Daten kann sie etwa ein Modell aufbauen, das schon in einem frühen Stadium zeitliche und räumliche Abweichungen von der geplanten Lieferkette erkennt. Auf Basis dieser Informationen schätzt das jeweilige Unternehmen dann die Ankunftszeit, plant Ressourcen und managt zum Beispiel die Rampen auf dem Yard. Bei bereits erkennbaren Gefährdungen innerhalb einzelner Abschnitte der Lieferkette warnt die KI automatisch die Verantwortlichen, damit diese schnell Korrekturmaßnahmen einleiten können.

Von Bedarfsprognosen bis Prescriptive Routing

Oft entstehen Lieferkettenprobleme auch durch ineffizienten und verspäteten Nachschub für Handelsfilialen, der zu häufigen Fahrten führt. Aus den bereits erwähnten historischen und aktuellen Daten abgeleitet, kann eine KI sehr gute Prognosen für den Bedarf auf Filialseite und den Zulauf auf Herstellerseite erstellen. Dieses selbstlernende System berücksichtigt dabei auch fortlaufend vergangene Ungenauigkeiten und passt sich an neue Marktsituationen an. Das ermöglicht einen Wechsel von Push- zu Pull-Benachrichtigung und resultiert in einer geringeren Anzahl von Fahrten sowie einer pünktlichen Lieferung. Bei bereits absehbaren Lieferengpässen können Kunden und Filialen nun mit größerer Vorlaufzeit informiert werden.

In vielen Bereichen konnten KI-gestützte Simulationen ihren Mehrwert bereits unter Beweis stellen. Im ÖPNV kann zum Beispiel eine Simulation einen durch Baustellen veränderten Schienenverkehr optimieren: Sie berechnet den geplanten Ausfall auf bestehenden Linien und die Auswirkungen auf das Umlenken des Fahrgast- beziehungsweise Güterstroms. Dies erleichtert es, Ausweichstrecken vorzubereiten und Änderungen früher anzukündigen. Ein Beispiel, das sich leicht für diverse Szenarien in der Supply Chain adaptieren lässt.

Herausforderung 2: Effizientere Arbeitsabläufe durch Automatisierung

An Hafenterminals sind Lagerflächen in der direkten Umgebung ein rares und begehrtes Gut. In dem Moment, wo Schiffe beladen werden oder Speditionen die Fracht abholen, stehen Logistiker vor der Herausforderung zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Container mit möglichst wenig Umstapeln zugreifen zu können. Bisher geschieht der Stapelprozess meist auf der Grundlage von Erfahrungswerten der Hafenfachkräfte. Eine vorausschauende KI kann Logistikunternehmen assistieren, indem sie aufwändiges Umstapeln reduziert und Container stets kurzfristig verfügbar hält. Informationen zum Frachttyp und zu den Liefer- und Abholzeiten von Reedereien und Speditionen bilden die Grundlage dafür, Container optimal vorzustauen.

Um neben Containern auch Fahrzeuge, insbesondere Lkw, im Hafen bedarfsgerecht abzurufen und dabei auch Störfaktoren wie die Verkehrssituation zu berücksichtigen, können Digital Twins unterstützen. Sie stellen ein digitales Abbild aller Objekte innerhalb eines komplexen Prozesses dar. Mit ihrer Hilfe kann ein Hafen das Vorstauen und Verladen simulieren. In den Digital Twin fließen dabei historische Informationen, Echtzeitdaten und Businessregeln ein, wie beispielsweise zum Kranhandling, maximalen Turmhöhen, Rangierflächen, Yardplätzen – oder in diesem Fall von Lkw und Rampen. Diese Daten ermöglichen Prognosen, die auf dem aktuellen Stand des Hafenumfeldes beruhen und vergangene Erfahrungen einfließen lassen. Basierend auf diesen Prognosen gibt der Dispatching-Algorithmus die einzelnen Fahrzeuge frei oder unterstützt den Dispatcher beim Abruf. Die Flächen am Terminal werden effizienter genutzt, das Bestandsproblem ist gelöst. KI und Simulationen helfen also nicht nur die Zukunft zu planen. Sie sind ebenso nützlich, um den Status Quo zu verbessern.

Lager- und Produktionslogistik optimieren

Innerhalb eines Lagers findet KI bei vielfältigen Anwendungsfällen ihren Einsatz. Sie beantwortet Fragen nach den konkret vorrätigen Waren, ihrem Alter, der Haltbarkeit und berechnet optimale Sicherheitsbestände. Das hilft, Lagerbestände deutlich zu reduzieren und im selben Schritt die Servicelevels zu verbessern, da sich exaktere Prognosen errechnen lassen.

Auch in die Produktionslogistik hat Künstliche Intelligenz Einzug gehalten. Hier versorgen Routenzüge verschiedene Montagestationen mit Material und Komponenten. Dabei haben mehrere Quellen und Senken zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bedarfe. KI-Algorithmen der Werkslogistik lasten Transportmittel optimal aus und stellen Termintreue sicher. Außerdem liefert der Digital Twin eines physischen Systems eine Entscheidungsgrundlage, um Routen und Aufträge besser zu planen.

Ein anderer Anwendungsfall ist das KI-gestützte Erkennen von Gefahrgutschildern. Gefährliche Güter sind in der Regel mit standardisierten Schildern gekennzeichnet, die zeigen, wie die Verantwortlichen Güter und Waren handhaben. In der Regel sind es immer Mitarbeiter, die gefährliche Güter erkennen, jedoch kann die KI diese Aufgabe bereits heute übernehmen. Es handelt sich um einen klassischen Fall eines durch Bilderkennung automatisierten Prozesses. Eine KI wird auf die Charakteristika von Gefahrgutschildern, unter anderem deren Farbe und Form, trainiert, markiert diese dann zunächst auf beliebigem Untergrund und ordnet anschließend deren Bedeutung zu.

Welche KI-Lösungen werden für Logistiker zukünftig relevant?

Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Unternehmen kann KI den Ressourceneinsatz mittels Prognosen optimieren. Fortschrittliche Routenplansysteme etwa vermeiden Leertransporte. Paperless-Prozesse oder No-Touch-Logistics können händische Prozesse ersetzen und Qualität erhöhen. Ebenso können Unternehmen die knapper werdende Ressource Mitarbeiter besser nutzen, indem sie stärker automatisieren, Personal flexibel planen und Unfällen optimal vorbeugen. Ertönt zum Beispiel bei reduzierter Aufmerksamkeit ein Alarm oder markiert die KI Gefahrenstellen automatisch, sind dies wirksame Präventionsmaßnahmen. Auch in der immer stärker personalisierten Kundenkommunikation kann eine KI zum Einsatz kommen, indem sie Muster in Kundendaten erkennt, Empfehlungen ausspricht oder durch Recherchen den Kundenkontakt erleichtert.

Jeder der vorgestellten Lösungswege für sich genommen hat das Potenzial, die wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Krisen abzumildern. Es muss also nicht gleich der große Aufschlag sein, auch wenn das Stichwort KI oft nach Millionenbudgets und langwierigen Projekten klingt. Dennoch ist es für Unternehmen durchaus sinnvoll, eine langfristige KI-Strategie und eine damit verbundene Datenstrategie zu entwickeln. Schließlich ermöglicht sie es, KI-Projekte auf die jeweiligen Unternehmensziele auszurichten und den nachhaltigen Projekterfolg zu messen. Nur so können sich Logistikunternehmen für kommende Herausforderungen wappnen – unabhängig davon, wie die prophezeite Zeitenwende auch aussehen mag.

Zur Autorin: Marie-Luise Menzel ist Business Director im Geschäftsfeld Logistik, Handel und Mobilität bei Lufthansa Industry Solutions

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