Logistikwissen zum Durchstarten

Iwona Blecharczyk
Iwona Blecharczyk
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Social-Media-Star Iwona Blecharczyk: Sie lebt ihren Traum vom Lkw-Fahren
Von Sven Bennühr

Kaum hat sich Iwona Blecharczyk vom Jetlag ihrer USA-Reise erholt, geht es an die Auswertung. Während der drei Wochen, die sie mit ihrer Schwester von Las Vegas nach Dallas unterwegs war, sind auf der rund 2.000 Kilometer langen Strecke jede Menge Aufnahmen entstanden, die nun gesichtet werden müssen. Denn schon Ende April will sie anlässlich einer Konferenz zu den Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern in Brüssel den Politikern des Europäischen Parlaments ihren etwa zehnminütiger Film zeigen.

Darin geht es um ihr größtes Anliegen: bessere Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer. Im ersten Schritt möchte sie hierbei den Blick auf die in Europa völlig unzureichenden Sanitäranlagen lenken. „Unseren Standard kann man mit US-amerikanischen gar nicht vergleichen“, findet Blecharczyk. „Das ist wie Himmel und Hölle.“ Deshalb müssten die Politiker aufgerüttelt werden, damit sich endlich etwas ändert. „Der Zeitpunkt ist wegen des Fahrermangels gut“, glaubt die 36-Jährige. „Jetzt oder nie ist der Raum für Veränderungen da.“

Auf der Straße und auf Social Media unterwegs

Man kann sich die aus dem Südwesten Polens stammende Frau, die sich als „Trucking Girl“ auf vielen Social-Media-Kanälen in Szene zu setzen weiß, gut vorstellen, wie sie im Anschluss an den Film anschaulich aus ihren zehn Jahren als Truckerin erzählt. Vielleicht werden einige der Politiker anschließend eins ihrer inzwischen 748 Videos auf Youtube anschauen oder feststellen, dass ihr auf Instagram 266.000 Menschen folgen und sie einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat. Manche könnten sich mit ihr über LinkedIn vernetzen.

In der Branche werden ihre Aktivitäten längst gesehen. Einige der großen Marken wie Volvo, Goldhofer und TomTom sind bereits 2021 aufgesprungen und setzen seitdem auf Blecharczyk als Markenbotschafterin. Der Spielzeugkonzern Mattel nahm die Lkw-Fahrerin schon 2019 im Rahmen der Kollektion Shero (She + Hero) als weibliches Rollenvorbild und kreierte eine eigene Barbie für sie.

Nur die – auch wirtschaftlich – erfolgreiche Influencerin in Blecharczyk zu sehen, greift allerdings zu kurz. Denn sie ist zugleich eine engagierte Lkw-Fahrerin, die ihren Job liebt und sich mit viel beruflichem Einsatz und äußerst zielstrebig in einem immer noch von Männern dominierten Beruf etablierte. Dabei war ursprünglich ein anderer Weg vorgezeichnet. In dem Lehrerhaushalt auf dem Land in Polen waren ihre Eltern zunächst sehr stolz darauf, dass ihre Tochter nach dem Bachelor-Abschluss in Englisch an der Universität Rzeszowski im Westen Polens als Lehrerin zu arbeiten begann.

Als Lehrerin war sie unglücklich

Blecharczyk aber war in ihrem Job nicht glücklich: „Ich war jeden Tag erschöpft und das Unterrichten ist nicht meine Stärke“, erinnert sie sich. Und obwohl sie damals erst 22 Jahre alt war, habe sie sich alt gefühlt. „Ich war immer eine gute Fahrerin und habe davon geträumt, mit einem amerikanischen Lkw zu fahren“, erzählt sie. „Dass Frauen als Lkw-Fahrerinnen arbeiten können, wusste ich in meinem kleinen Dorf in Südpolen gar nicht.“

Sie nahm Fahrstunden, arbeitete allerdings weiter als Lehrerin, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. „Als ich mich 2010 um einen Job bewarb war es eine ganz andere Situation als heute. Einen Fahrermangel gab es nicht, und ich war eine junge Frau ohne Berufserfahrung am Steuer.“ Nur einmal sei sie zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden, aber der Chef war bloß neugierig – den Job erachtete er als zu hart für Frauen.

Nach einem weiteren Jahr als Lehrerin wurde ihr an ihrer Schule ein Vollzeitjob angeboten. „Ich wusste, dass ich nie wieder da rauskommen würde, wenn ich das annehme“, sagt sie. Also bewarb sie sich nun noch engagierter in ganz Polen und wurde irgendwann auch zum Gespräch beim belgisch-polnischen Transportunternehmen H. Essers eingeladen. „Aufgrund meiner Englischkenntnisse waren sie sehr interessiert und haben mir gleich mehrere Jobs angeboten“, berichtet sie, „aber alle im Büro.“

Eigenes Fahrzeug nach vier Wochen Probezeit

Als sie darauf bestand, ans Lenkrad zu wollen, gab man ihr schließlich die ersehnte Chance: Vier Wochen könnte sie es zusammen mit einem Fahrer ausprobieren und sich dann entscheiden. Denn auch für den Bürojob sei so ein Einblick ja hilfreich. Für Blecharczy aber war die Sache schnell klar: „Ich war happy.“ Sie fuhr einmal quer durch Europa, lernte die Grundlagen und bekam anschließend ihren eigenen Lkw.

Aber danach sei es in den ersten Monaten allein doch ganz schön anstrengend gewesen: die Nachtschichten und fehlende Übung am Tag zu schlafen, kaum Praxis beim Einparken und zu wenig Wissen, wie man es schafft, trotz Überfüllung einen sicheren Parkplatz für die Nacht zu finden. Grundsätzlich aber war sie mit ihrer Entscheidung sehr zufrieden und fuhr drei Jahre durch ganz Europa, transportierte alles von Luftfracht bis zu High Value. Auch ihren Traum, in Amerika Lkw zu fahren, verwirklichte sie ein Jahr lang in den USA und in Kanada. Ein besonderes Highlight dabei: die Fahrt auf Eisstraßen im Norden Kanadas zwischen Yellowknife und drei Diamantminen.

Spezialistin für Schwertransporte

Dann wollte sie unbedingt Großraum- und Schwertransporte fahren und wechselte deshalb zu Tag, einem kleinen familiengeführten polnischen Unternehmen für Spezialtransporte & Projektlogistik. Dort blieb sie sechs Jahre, in denen sie vor allem Rotorblätter im Konvoi transportierte.

Im September 2021 gründete sie ihr Unternehmen Imagination Transport und kaufte einen 460-PS-Lkw. „Ich möchte dadurch unabhängiger werden und mein Privatleben managen. Noch funktioniert das aber nicht, da habe ich noch einen Weg von mir“, räumt sie ein. So wollte sie eigentlich etwa zwei bis drei Wochen pro Monat selbst fahren und dann einen Fahrer beschäftigen. „Aber ich liebe Europa und bin einfach zu reisehungrig.“ (ben)

Dieser Beitrag wurde von Claudia Behrend, Fachjournalistin für Verkehr, Seeschifffahrt und Logistik, verfasst.

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