Die chinesische Kurz- video-App TikTok geht mit dem Launch eines eigenen Logistikangebots den nächsten Schritt in Sachen E-Commerce. Mit „Fulfilled by TikTok“ (FBT) soll es für Händler in Großbritannien als Pilotmarkt einfacher werden, ihre Produkte über die in die App integrierte E-Commerce-Lösung „TikTok Shop“ zu verkaufen. Was als Unterhaltungsplattform für Lippensynchronisation und Tanzclips begann, strebt nun offenbar einen ähnlichen Weg an wie die Onlinegiganten Amazon, Shein, Alibaba oder Temu.
Das Angebot umfasst die Lagerung, Kommissionierung, Verpackung und den Versand von Waren an die Nutzer der App – und erinnert damit nicht nur vom Namen her an den seit Jahren bestehenden Service „Fulfillment by Amazon“ (FBA). Konkret verspricht die App einen automatisierten Same-Day-Versand für Bestellungen, die werktags bis 19 Uhr eingehen, einen Premium-Lieferservice – ähnlich wie „Amazon Prime“ – sowie verbesserte Kennzahlen im Hinblick auf kürzere Lieferzeiten, heißt es in einer Mitteilung.
Pro Sendung gilt ein Maximalgewicht von 30 Kilogramm beziehungsweise ein Volumen von 31,5 Kubiklitern. Zu einer Ausweitung des Angebots hat sich das Unternehmen zwar noch nicht geäußert, doch die E-Commerce-Pläne von Bytedance, der chinesischen Muttergesellschaft von TikTok, scheinen weit über den Launch von FBT im britischen Markt hinauszugehen. Sogar einen TikTok-Musik-Streaming-Dienst und eine Buchverlagsabteilung soll das Unternehmen ins Gespräch gebracht haben. Laut Statista lagen die Nutzerzahlen von TikTok 2022 bereits bei über 1,7 Milliarden Menschen – Tendenz steigend.
Personalsuche und Kooperationen
Die große Reichweite wollen sich die App-Betreiber nun auch auf logistischer Ebene zu Nutze machen. Das Unternehmen sucht aktiv nach Logistikfachpersonal in den USA und Asien. Suchbegriffe wie Logistics führen auf der Karriereseite der App zu über 130 Jobangeboten. Über die Plattform LinkedIn soll TikTok Ende vergangenen Jahres nach Fulfillment- und Logistik-Spezialisten gesucht haben, die beim Aufbau eines „internationalen E-Commerce Fulfillment-Systems“ unterstützen sollten, hieß es in einem Bericht der Nachrichtenseite „Axios“. Auch Mitarbeitende des chinesischen Moderiesen Shein sollen angeworben worden sein.
Hinzu kommen immer wieder Gerüchte um geplante unternehmenseigene Lagerhäuser in Großbritannien und den USA. Jüngere Berichte verkünden dagegen, die Plattformbetreiber würden derzeit auf Partnerschaften mit externen Logistikunternehmen setzen, anstatt ein eigenes Netzwerk aufzubauen. Erster Fulfillment-Partner von TikTok ist Huboo Technologies mit Sitz in Bristol. Das Unternehmen verfügt über mehrere Lagerstandorte in Großbritannien und jeweils ein Fulfillment-Center in Leipzig, Madrid und den Niederlanden. Unter dem Namen „Trendy Beat“ soll es darüber hinaus Pläne und Testläufe für den Verkauf eigener TikTok-Produkte geben, ähnlich wie bei „Amazon Basics“.
Umsatz soll sich vervierfachen
Nach Informationen der US-Finanznachrichtenagentur Bloomberg wollen die App-Betreiber das globale E-Commerce-Geschäft von TikTok in diesem Jahr mehr als vervierfachen und damit einen Warenumsatz von bis zu 20 Milliarden US-Dollar erzielen. Vor allem in Südostasien erhoffen sie sich ein rasantes Wachstum, mit Trends wie „Live-Shopping“ werden dort bereits Milliardenumsätze erzielt. Das Konzept ist dem althergebrachten Teleshopping ähnlich: Vor der Kamera werden Produkte von Influencern präsentiert, die live und direkt in der jeweiligen App gekauft werden können.
Social Commerce nimmt Fahrt auf
In Europa hat sich jenes Konzept bislang nicht durchgesetzt, dennoch gilt Social Commerce als einer der vielversprechendsten Trends. Einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte zufolge sollen die globalen Ausgaben für Waren und Dienstleistungen in den sozialen Medien in diesem Jahr erstmals die Grenze von einer Billion Dollar überschreiten.
Auch in Deutschland nimmt Social Commerce an Fahrt auf, obgleich etwa der „TikTok Shop“ hierzulande noch nicht verfügbar ist. Gerade die Corona-Pandemie hat das Wachstum getrieben, zeigen Umsatzzahlen von Shopify. Der globale E-Commerce-Anbieter hilft Händlern dabei, einen Onlineshop aufzubauen und diesen mit Facebook und Co. zu verbinden. Im zweiten Quartal 2023 lagen die monatlich wiederkehrenden Einnahmen (MRR) von Shopify bei 139 Millionen Dollar und damit um 30 Prozent höher als im Vorjahr. Ende 2019 lag der Wert noch bei rund 54 Millionen Dollar (siehe Grafik).
Auch TikTok hat eine Partnerschaft mit Shopify gestartet, um Werbung und Verkäufe direkt in der App zu ermöglichen. Durch In-App-Lösungen wie dem unternehmenseigenen „TikTok Shop“ könnten solche Kooperationen aber in Zukunft überflüssig werden.
Skepsis in einigen US-Bundesstaaten
Ob sich die hochgesteckten Ziele von TikTok realisieren lassen, bleibt abzuwarten. Berichten zufolge handelt es sich nicht um den ersten Versuch von Bytedance, E-Commerce-Giganten zu kopieren. Drei Shopping-Apps des Konzerns – Dmonstudio, Fanno und If Yooou – sollen entweder abgeschaltet oder aufgegeben worden sein. Hinzu kommt, dass TikTok im US-Bundesstaat Montana wegen Sicherheitsbedenken ab 2024 verboten sein soll. Die App-Betreiber haben gegen den Beschluss Klage eingereicht. Doch weitere Bundesstaaten könnten folgen.